Fehler

Einem Schüler, der sich schrecklich fürchtete, Fehler zu machen, sagte der Meister: „Diejenigen, die keine Fehler machen, machen den größten aller Fehler: Sie versuchen nichts Neues.“


Bewertung

Der Meister legte seinen Schülern dar, dass Erleuchtung dann eintritt, wenn sie das nicht-deutende Sehen erlangt hätten.

Die Schüler wollten nun wissen, was deutendes Sehen sei. Der Meister erklärte es ihnen so:

Ein paar katholische Straßenarbeiter waren an einer Baustelle nicht weit weg von einem Bordell beschäftigt, als sie einen Rabbi in dem nicht gerade angesehenen HAus verschwinden sahen.

„Naja, was kann man schon erwarten?“, tuschelten sie einander zu.

Nach einer Weile schlüpfte ein Pastor durch die Türe. Nichts Überraschendes. „Was kann man schon erwarten?“

Daraufhin kam der katholische Pfarrer, der sein Gesicht mit dem Mantel bedeckte, bevor er in dem Haus verschwand. „Ist das nicht schrecklich? Eines der Mädchen muss ernsthaft erkrankt sein!“


Der unglaubliche Schütze

Es war einmal ein König, der durch eine kleine Stadt zog und überall Anzeichen einer verblüffenden Schießkunst feststellte. Bäume, Zäune und Wände waren mit Kreisen bemalt und hatten genau in der Mitte ein Einschussloch. Er fragte, wo dieser Meisterschütze sei, der sich bald als zehnjähriger Junge entpuppte. „Das ist doch unglaublich!“, sagte der König erstaunt. „Wie um alles in der Welt bringst du das fertig?“

„Kinderleicht“, war die Antwort, „Ich schieße zuerst und dann mal ich die Kreise.“


Bestätigung

Der Meister disputierte mit niemandem, wenn er merkte, dass sein Gegenüber nur eine Bestätigung seiner eigenen Auffassung suchte und nicht die Wahrheit.

Einmal führte er den Schülern den Wert eines Argumentes vor Augen.

„Fällt eine bestrichene Scheibe Brot mit der Butterseite nach unten oder nach oben?“

„Natürlich mit der Butterseite nach oben.“ „Nein, mit der Butterseite nach unten!“ „Probieren wir’s doch aus!“

Also nahm er eine Scheibe Brot, bestrich sie mit Butter und warf sie hoch. Sie fiel - mit der Butterseite nach oben!

„Ich habe gewonnen!!“

„Aber nur weil ich einen Fehler gemacht habe.“

„Was für einen Fehler?“

„Ich habe offensichtlich die falsche Seite mit Butter beschmiert.“


Beschleunigung

Der Meister wurde gefragt, was er von der Errungenschaft der modernen Technik halte. Seine Antwort war:

Einem zerstreuten Professor fiel in letzter Minute ein, dass er eine Vorlesung halten musste. Er sprang in ein Taxi und rief: „Los fahren Sie, so schnell Sie können!“ Als das Taxi in voller Fahrt war, merkte der Professor, dass er dem Fahrer gar nicht das Ziel angegeben hatte. „Wissen Sie denn, wohin ich möchte?“, rief er ihm zu. „Nein, mein Herr, aber ich fahre so schnell ich kann.“


Autoritäten

Ein Mann, den man für tot hielt, wurde von seinen Freunden zur Beerdigung getragen. Als der Sarg in das Grab hinabgelassen werden sollte, kam der Mann plötzlich wieder zu sich und schlug gegen den Sargdeckel.

Der Sarg wurde geöffnet; der Mann richtete sich auf. „Was tut Ihr?“, fragte er die versammelte Menge. „Ich lebe, ich bin nicht tot.“ Seine Worte stießen auf verblüfftes Schweigen.

Schließlich sagte einer der Trauergäste: „Mein Freund, sowohl die Ärzte wie die Priester haben deinen Tod bescheinigt. Die Fachleute können sich doch wohl nicht täuschen!“

Also wurde der Sargdeckel wieder zugeschraubt und der Mann wurde beerdigt, wie es sich gehörte.


Verliebt

Eine Frau ging spazieren.

Nach einer Weile bemerkte sie einen Mann, der ihr folgte. Die Frau drehte sich um und fragte ihn: „Weshalb läufst du mir nach?”

Der Mann antwortete: „Weil ich mich in dich verliebt habe!”

Die Frau sagte: „Wie kannst du dich denn in mich verlieben? Meine Schwester ist viel schöner als ich. Sie läuft hinter mir. Geh zu ihr und verliebe dich in sie.”

Da kehrte der Mann um und suchte nach der Schwester. Aber er traf nur eine Frau, die sehr hässlich war.

Der Mann wurde sehr ärgerlich, ging wieder zu der ersten Frau und sagte zu ihr: „Warum hast du mich angelogen? Deine Schwester ist viel hässlicher als du!”

Darauf antwortete die Frau: „Du hast mir doch auch nicht die Wahrheit gesagt. Denn wenn du dich wirklich in mich verliebt hättest – warum bist du dann zu der anderen gelaufen?”

Da schämte sich der Mann …


Spuren

Es war einmal ein Vater, der zwei Söhne hatte. Je älter und gebrechlicher er wurde, desto mehr dachte er über sein Leben nach. Und manchmal kamen ihm Zweifel, ob er seinen Söhnen wohl das Wichtigste für ihr Leben weitergegeben hatte.

Weil ihn diese Frage nicht losließ, beschloss der Vater, seine Söhne mit einem besonderen Auftrag auf eine Reise zu schicken. Er ließ sie zu sich kommen und sagte: „Ich bin alt und gebrechlich geworden. Meine Spuren und Zeichen werden bald verblassen. Nun möchte ich, dass Ihr in die Welt hinaus geht und dort Eure ganz persönlichen Spuren und Zeichen hinterlasst."

Die Söhne taten, wie ihnen geheißen, und zogen hinaus in die Welt.

Der Ältere begann sogleich eifrig damit, Grasbüschel zusammenzubinden, Zeichen in Bäume zu schnitzen, Äste zu knicken und Löcher zu graben, um seinen Weg zu kennzeichnen.

Der jüngere Sohn jedoch sprach mit den Leuten, denen er begegnete, er ging in die Dörfer und feierte, tanzte und spielte mit den Bewohnern.

Da wurde der ältere Sohn zornig und dachte bei sich: „Ich arbeite die ganze Zeit und hinterlasse meine Zeichen, mein Bruder aber tut nichts.”

Nach einiger Zeit kehrten sie zum Vater zurück.

Der nahm dann gemeinsam mit seinen Söhnen seine letzte und beschwerliche Reise auf sich, um ihre Zeichen zu sehen.

Sie kamen zu den gebundenen Grasbüscheln. Der Wind hatte sie verweht und sie waren kaum noch zu erkennen. Die gekennzeichneten Bäume waren gefällt worden und die Löcher, die der ältere der beiden Söhne gegraben hatte, waren fast alle bereits wieder zugeschüttet.

Aber wo immer sie auf ihrer Reise hinkamen, liefen Kinder und Erwachsene auf den jüngeren Sohn zu und freuten sich, dass sie ihn wieder sahen und luden ihn zum Essen und zum Feiern ein.

Am Ende der Reise sagte der Vater zu seinen Söhnen: „Ihr habt beide versucht, meinen Auftrag, Zeichen zu setzen und Spuren zu hinterlassen, zu erfüllen. Du, mein Älterer, hast viel geleistet und gearbeitet, aber deine Zeichen sind verblichen. Du, mein Jüngerer, hast Zeichen und Spuren in den Herzen der Menschen hinterlassen. Diese bleiben und leben weiter.”


Der Fackelträger

Mein Großvater erzählte mir folgende Geschichte:

Zu einer Zeit lebte ein kleiner Junge. Zusammen mit seiner Familie lebte er verloren im Tal der Dunkelheit. Dann, eines Tages, fand er zufällig eine Fackel. Als er sie anzündetet, konnten alle im dunklen Tal das Licht sehen und sie eilten herbei. Mit seinem Licht in der Hand machte sich der kleine Junge daran, die Menschen auf dem Pfad über die Berge aus dem Tal der Dunkelheit herauszuführen. Zuerst folgten ihm an die Hundert, dann Tausende, später Zehntausende. Jedes Mal, wenn er zurückblickte, waren es mehr Menschen, die ihm hinterherkamen. Und je mehr Menschen er sah, desto zufriedener wurde er mit sich selbst und der guten Tat, die er vollbrachte.

Immer öfter blickte er zurück, um zu sehen, wie viele Menschen er aus der Dunkelheit herausführte. Wie stolz er war, dass so viele Menschen IHM folgten!
Da stolperte er und ließ die Fackel fallen.

Irgendjemand hinter ihm hob sie auf und die Menge stieg über ihn hinweg und während sie der Höhe zustrebte, blieb er im Staub zurück.

Sie waren gar nicht ihm gefolgt.


Der Wunschbaum

Ein Wanderer machte Rast nach einem anstrengendem Tag. Er setzte sich unter einen Baum und ruhte seine müden Füße aus. „Wie schön wäre jetzt ein kühles Getränk“, dachte er und schon stand eine Karaffe mit kristallklarem Wasser vor ihm.

Der Mann nahm einen großen Schluck und dachte: „Das ist ja wunderbar! Etwas zu essen wäre aber auch nicht schlecht.“

Kaum gedacht, wurde der Wunsch auch schon erfüllt.

Wohlige Müdigkeit überkam ihn und er streckte sich aus, um ein Nickerchen zu machen. Doch kurz vor dem Einschlafen schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. „Wenn jetzt ein Tiger kommt, ...“